Publikation: Chronologie des alpinen Permafrosts

Ein typischer reliktischer Blockgletscher (=Blockgletscherablagerung) mit grobblockiger Oberfläche bei der Norbertjagdhütte auf der Südseite der Reißeckgruppe in ca. 1.900 m Höhe. Die 10Be-Datierung der beprobten Oberfläche ergab hier ein Alter von 14.300 Jahren (Bild: Olivia Steinemann)

Aus einer langen wissenschaftlichen Zusammenarbeit von Jürgen Reitner (GBA) mit der ETH Zürich (Laboratory of Ion Beam Physics) ist 2020 eine gemeinsame Publikation über die Chronologie des alpine Permafrosts entstanden. Das Zurückweichen des alpinen Permafrosts als Folge der globalen Erwärmung ist aufgrund der Verknüpfung mit erhöhter Massenbewegungsaktivität und der Gefährdung von Infrastruktur ein Thema von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Unser Verständnis des Permafrostabbaus in Gebirgen als Reaktion auf die Klimasteuerung beschränkt sich auf Studien, die nur sehr aktuelle Veränderungen in den letzten Jahrzehnten beobachten. Veränderungen der unteren Permafrostgrenze über Jahrhunderte oder einige tausend Jahre fehlen bisher. In der hochalpinen Umgebung gibt es ein charakteristisches Merkmal, das mit dem Auftreten von modernem lokalem Permafrost verbunden ist: aktive Blockgletscher, d.h. Mischungen aus Schutt und Eis.  Durch geologische Kartierung und Expositionsdatierung (10Be) zweier einzigartiger Sequenzen von reliktischen Blockgletschern (ohne Eis) der Reißeckgruppe (Oberkärnten, Ostalpen) konnte Olivia Steinemann (ETH Zürich) gemeinsam mit Susan Ivy-Ochs (ETH Zürich) und Jürgen Reitner (GBA) zeigen, dass die kosmogene Nukliddatierung dieser periglazialen Landformen ein leistungsfähiges Werkzeug zur Untersuchung vergangener Permafrostaktivität darstellt. Basierend auf geomorphologischen, paläoglaziologischen und geochronologischen Beweisen war es möglich, mit dem weltweit ältesten, datierten Blockgletscher der Alpen, den Beginn der alpinen Permafrostaktivität mit 15.700 Jahren einzugrenzen. Diese erfolgte kurz nach dem Höhepunkt des ebenfalls 10Be-datierten Gschnitz-Stadials (16.000 Jahren). Darüber hinaus zeigt die Studie die nachfolgende Permafrostaktivität während der Jüngeren Dryas (um 12.000 Jahren) und des frühen Holozäns, immer im Zusammenhang mit der Gletscherdynamik in diesem Gebiet. Diese Pionierarbeit enträtselt nicht nur die Chronologie des Permafrostwachstums und -schwunds in einer Phase enormer klimatischer Veränderungen zwischen 16.000 und 8.000 Jahren, sondern liefert auch paläoklimatische Daten (mittlere Jahreslufttemperaturen) für diesen Zeitraum.

Steinemann, O., Reitner, J.M., Ivy-Ochs, S., Christl, M. & Synal, H.A. (2020): Tracking rockglacier evolution in the Eastern Alps from the Lateglacial to the early Holocene. – Quaternary Science Reviews, 241, 106424. » https://doi.org/10.1016/j.quascirev.2020.106424 (open access)